Es heißt „Theater spielen“. Jedoch sind Theaterproduktionen nicht in jeder Hinsicht ein Spiel. Was bedeutet es, wenn die eigene „Passion“ auch dem Lebensunterhalt dient bzw. der Job nicht nur Selbstversorgung, sondern auch Selbstbestimmung ist? Mit dieser Besonderheit kreativer und künstlerischer Arbeitsverhältnisse haben wir uns in der Laborstation Frank N. Furter’s Lab beschäftigt und vor dem Hintergrund aktueller Forschungsergebnisse aus den Sozial- und Kunstwissenschaften zur Diskussion eingeladen.
Bezogen auf das Theater betont Axel Haunschild, dass der Spielbegriff vordergründig eine durch Spaß und Lust geleistete Handlung suggeriert. So fragen Schauspieler einander, ob sie „heute Abend spielen“, wenn sie wissen möchten, ob der jeweilige Kollege oder die jeweilige Kollegin auf der Bühne stehen. „In kaum einem Beruf […] wäre eine derartige begriffliche Vermischung von Arbeit und Spiel denkbar.“1 Ausgangspunkt der Laborstation war die Studie „Passion als Beruf“, die im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts „Krisengefüge der Künste“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster durchgeführt wird. „Arbeiten am Theater ist etwas Besonderes“, heißt es in der Beschreibung des Forschungsprojekts. „Jenseits von Stress und Hektik sind Innovation, Kreativität und Teamgeist angesagt.“2 Allgemein gesprochen gibt es jedoch wenig Forschungsergebnisse darüber, wie künstlerische Angestellte auf ihre eigenen Arbeitsbedingungen blicken. Auch sind die einschneidenden Veränderungen der Arbeitswelt nicht ausreichend erforscht, die sich auch auf die Kultur- und Kreativwirtschaft ausgewirkt haben.
Haunschild nennt neben dem „Kreativitätsimperativ“, der durch die Arbeiten des Soziologen Andreas Reckwitz weithin Bekanntheit erlangt hat, das Wachsen der „Creative Class“ (Richard Florida) sowie die „kreative Projektarbeit als Referenzpunkt für Karrieren und Arbeitsverhältnisse allgemein.“3 Wie Luc Boltanski und Eve Chiapello in Der neue Geist des Kapitalismus4 beschreiben, verändert sich der ideologische Rechtfertigungsrahmen der Arbeitswelt. Insbesondere die von ihnen als „Künstlerkritik“ bezeichnete Forderung nach Authentizität und Freiheit habe zu einer umfassenden Transformation des kapitalistischen Rechtfertigungsapparats geführt: So stellen sich „Autonomie, Spontaneität, Mobilität, Disponibilität, Kreativität, Plurikompetenz [...], die Fähigkeit, Netzwerke zu bilden“ als Erfolgsgarantien heraus.5 Entsprechend erklärt Alexandra Manske in ihrer Studie Kapitalistische Geister in der Kultur- und Kreativbranche6, dass künstlerisch-kreative Erwerbsfelder einen Modellcharakter für neue Arbeitsformen darstellen, die sich durch Entgrenzung und Individualisierung auszeichnen.7
Was für die Künstlersubjekte gilt, scheint auch auf der Ebene des Theatermanagements sowie kulturpolitischer Leitbilder zu beobachten zu sein. Im Hinblick auf die Theater weist Hans-Thies Lehmann darauf hin, wie bereits seit der Wende 1989 marktwirtschaftliche Paradigmen zum Gegenstand von Struktur- und Finanzdebatten wurden. Dies habe zu „Rationalisierungsmaßnahmen“ wie der Zusammenlegung verschiedener Sparten, der Schließung ganzer Häuser sowie Legitimationskrisen derselben geführt.8
In seinem Aufsatz Kunst oder Kinsey? entwickelt Jürgen Berger die These, dass das Theater einer der Kunstbereiche ist, der besonders um seine Daseins-Berechtigung im Zuge des neoliberalen Effizienzdenkens kämpfen muss.9Berger attestiert den Theaterverantwortlichen ein verändertes Selbstverständnis und konstatiert eine Verschiebung der Priorisierung ökonomischer Überlegungen gegenüber künstlerischer Arbeit.
Vor dem Hintergrund dieses vielschichtigen und komplexen gesellschaftlichen Panoramas stellt sich insbesondere für Studierende und junge Künstler*innen die Frage, wie sie sich innerhalb des künstlerischen Feldes positionieren. Ebenfalls gibt es wenig Ergebnisse über die konkrete Arbeitssituationen und die Bedeutung der skizzierten Transformationsprozesse in Theatern.
Dabei unterschieden sich die Arbeitsbedingungen zwischen Künstler*innen, die angestellt und denen, die frei arbeiten, massiv. Die Künstler*innen und ihre Forderung nach mehr Autonomie, Freiheit und Individualismus haben vielleicht zu den jüngeren Entwicklungen des Arbeitsmarktes beigetragen. Aber vielleicht sind auch sie es, von denen neue Transformationen hin zu verbesserten Arbeitsbedingungen ausgehen können. Immerhin gibt es an den Theatern mehr und mehr künstlerische Mitarbeiter*innen, die Änderungen fordern und sich dafür zusammenschließen, wie z.B. im Ensemble-Netzwerk oder im Bund der Szenograf*innen.
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Haunschild, A.: „Ist Theaterspielen Arbeit?“, in: Schößler, F. / Bähr, C. (Hrsg.): Ökonomie im Theater der Gegenwart. Ästhetik, Produktion, Institution, Bielefeld: transcript, 2009, S. 141-156, S.141. ↩︎
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https://www.uni-muenster.de/Soziologie/BEMA/projekte/passion_als_beruf.shtml, zuletzt aufgerufen am 10. Januar 2020. ↩︎
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Vgl. Haunschild, A.: „Ist Theaterspielen Arbeit?“, a.a.O., S. 141. ↩︎
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Boltanski, L. / Chiapello, E.: Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz: UVK, 2003. ↩︎
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Vgl. ebd., S. 143f. ↩︎
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Manske, A.: Kapitalistische Geister in der Kultur- und Kreativbranche. Kreative zwischen wirtschaftlichem Zwang und künstlerischem Drang, Bielefeld: transcript, 2016. ↩︎
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Vgl. ebd., S. 14. ↩︎
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Vgl. Lehmann, H.-T.: „Die Gegenwart des Theaters“, in: Fischer-Lichte, E. / Kolesch, D. / Weiler, C. (Hrsg.): Transformationen. Theater der neunziger Jahre, Berlin: Theater der Zeit, Recherchen 2, 1999, S. 13-26, S. 15. ↩︎
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Berger, J.: „Kunst oder Kinsey.“, in: Schößler, F. / Bähr, C. (Hrsg.): Ökonomie im Theater der Gegenwart“, Bielefeld: transcript, 2009, S. 167–172. ↩︎