Transparente Forschung im Gläsernen Labor
Bereits bei der Gründung des Deutschen Museums um 1903 stand der Kerngedanke im Vordergrund, das Museum „erfahrbar und nachvollziehbar“ zu machen, durch eine „volksnahe und spielerische Gestaltung der Ausstellung[en]1.“ Dahinter verbirgt sich die Idee, die Prozesse der technischen Entwicklungen sowie deren Möglichkeiten ebenso auszustellen und erfahrbar zu machen, wie die technischen Objekte selbst. So wurden zu Beginn neben den Objekten stets auch Gemälde gesammelt oder in Auftrag gegeben, die die Objekte in ihrer eigentlichen Funktion darstellen. Das Museum selbst sollte als Ort der Erkenntnis und Erfahrung verstanden werden. Um die Prozesse, Gesetze der Physik etc. besser verstehen zu können, sollten diese spielerisch ausprobiert, Bergwerke begangen und Sterne in einer Sternwarte gesehen werden können.2
Die Idee des Gläsernen Labors wurde seither in verschiedenen Dauerausstellungen des Deutschen Museums realisiert.3 So können Besucher*innen den Forschungsprozess einer/s Nanowissenschaftler*in verfolgen, eine Vorführung des Mikroskopischen Theaters am Elektronenmikroskop besuchen oder gar im DNA-Besucherlabor ihre eigene DNA extrahieren. Daneben haben Besucher*innen durch die Gläsernen Labore die Möglichkeit den Forscher*innen Fragen zu stellen und lernen dabei nicht nur etwas über das spannende Feld der Nanotechnologie, sondern ebenso über den Forschungsprozess und den Alltag von Forscher*innen an sich. So werden neue Forschungsmethoden und Technologien greifbar und nachvollziehbar.
Das Gläserne Labor im Zeitalter der Digitalisierung
Mit der Digitalisierung ergeben sich nun völlig neue Möglichkeiten, das Konzept Gläserner Labore zu denken. Auch hier soll es darum gehen, einerseits digitale Technologien zu nutzen, um neue Vermittlungsangebote zur Verfügung zu stellen. Andererseits sollen die Technologien selbst greifbar werden. Besonders spannend ist hierfür der Austausch mit Entwickler*innen, Produzent*innen und Künstler*innen. Im Sinne der Idee eines Gläsernen Labors haben die Besucher*innen hier die Möglichkeit, direkt zu beobachten, wie Kooperationen zu Prototypen führen, die sie dann testen und evaluieren können. Das MediaLab versteht sich daher als Digital Hub, als Schnittstelle zwischen analogen und digitalen Projekten und als Ort für den multidisziplinären Austausch über Abteilungs- und Institutsgrenzen hinweg. Es entsteht ein Ort der Co-Creation und Kooperation, der das gemeinsame Arbeiten, Brainstorming und Entwickeln von Lösungen mit unterschiedlichen Partner*innen, wie Klein- und Mittelständischen Unternehmen, GLAM-Einrichtungen4 sowie Hochschulen und Studierenden und natürlich den Besucher*innen, ermöglicht. Das Museum selbst sieht sich dabei als starken Partner im Feld der Forschung, Wissenschaft und der technischen Infrastruktur und nicht zuletzt auch weiterhin als Ort der Erkenntnis und Erfahrung.
Auch das VRlab am Deutschen Museum verfolgt den Ansatz der Gläsernen Labore.5 2018 im Rahmen des bundesweiten Verbundprojekts museum4punkt0 eröffnet, werden hier neben den fest installierten VR-Anwendungen auch Projekte mit Studierenden und Künstler*innen erprobt und ausgestellt. Dabei lernen nicht nur die Besucher*innen neue Anwendungen kennen. Das VRlab-Team erhält Einblicke in neue Vermittlungsformate und die Kooperationspartner*innen in die Arbeitsweisen am Museum. So verändern sich Storytelling-Ansätze, klassische Lehrverfahren werden hinterfragt und die Besucher*innen werden direkt in diesen Feedbackprozess eingebunden. Die Studierendenprojekte ermöglichen darüber hinaus die Beantwortung von Forschungsfragen zur Nutzung von Virtual und Augmented Reality sowie zum Digital Storytelling in der Wissensvermittlung. Auch hier sind die Besucher*innen direkt in den Forschungsprozess eingebunden und lernen so auch etwas über methodische Erhebungsverfahren und aktuelle Forschungsfragen der Medieninformatik oder der Pädagogik. Im Gegenzug lernt das Museum in der Zusammenarbeit, wie neue Technologien in digitale Angebote eingebunden werden können. Ebenso eröffnet die Kooperation mit Universitäten direkte Einblicke in die Wünsche und Vorstellungen zur digitalen Vermittlung musealer Inhalte von jungen Erwachsenen.
Aber nicht nur über das VRlab als Experimentierfläche ergeben sich Möglichkeiten der multidisziplinären Zusammenarbeit. Auch über innovative Veranstaltungsformate, der Einrichtung einer digitalen “Spielwiese” oder der Beteiligung an Veranstaltungen wie dem Kulturhackathon “Coding Da Vinci”6 ergeben sich vielfältige Möglichkeiten des Austausches. Das 2018 ins Leben gerufene, jährlich stattfindende Symposium “Das digitale Objekt”7 bietet Raum, um interaktive Workshop-Formate wie das Worldcafé oder das BarCamp auszuprobieren. Außerdem werden moderne Publikationsformate, z.B. mit augmentierten Inhalten, erprobt. Auch hier steht ein möglichst diverser Austausch im Mittelpunkt. Neben wissenschaftlichen Beiträgen finden auch Praxisberichte, Vorstellungen von Studierendenprojekten, Diskussionsrunden mit Wirtschaftspartner*innen und internationale Online-Formate ausreichend Platz. Gerade im Kontext der Coronakrise haben sich unterschiedliche interaktive Online-Angebote als gewinnbringend erwiesen. Das mit externen Kooperationspartner*innen entwickelte Meaning Making Programm bringt internationale Vertreter*innen kultureller Einrichtungen ebenso wie Medienanbieter*innen und Freelancer*innen zusammen, um über moderne Herausforderungen des Digital Storytelling zu diskutieren und internationale digitale Projekte anzustoßen.
All diese Ansätze verlangen von den Mitarbeiter*innen des Museums Mut zur Transparenz. Das bedeutet zum Beispiel, externen Partner*innen den Zugriff auf eigene Datensätze zu ermöglichen oder aber auch unfertige Projekte und Fehler öffentlich zu diskutieren, um daraus zu lernen. Entsprechend haben wir eine “digitale Spielwiese” 8 oder anders formuliert ein Online-Lab veröffentlicht. Hier zeigen wir Prototypen, Mock-ups und allgemein Versuche, die sich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen und der Erprobung verschiedener Werkzeuge und Szenarien zur Nutzung und Bereitstellung digitaler bzw. digitalisierter Objekte im virtuellen Raum dienen sollen. Gleichzeitig werden sämtliche Schritte von der Idee zum klickbaren Produkt dokumentiert. Somit bieten wir eine niederschwellige Möglichkeit, neue technische Werkzeuge und klickbare Darstellungsformen zu testen und zu integrieren. Dies ermöglicht uns eine schnelle und transparente Kommunikation nach außen. Ganz bewusst gehen wir das Risiko ein, dass es dabei zu Artefakten (Abweichungen von den Ausgangsdaten), broken links oder ähnlichen Darstellungsschwierigkeiten kommen kann.
Die Idee real werden lassen
Mit dem Blick raus aus der eigenen Institution zeigt sich, dass der Ansatz, eine Art MediaLab zu gründen, nicht neu ist.9 Auch hier profitieren Museen vom Austausch. Entsprechend steht das Deutsche Museum in engem Kontakt mit dem Museum für Naturkunde in Berlin (MfN). Hier entstand das Leibniz Application Lab “Mediasphere For Nature” 10 als Teil der Digitalstrategie des Museums. 11 Es dient als erste Anlaufstelle für Existenzgründer*innen, KMUs, Industrie und Gesellschaft, um wissensbasierte, natur- und gesellschaftsrelevante Produkte und Dienstleistungen am MfN zu entwickeln. Auch an dieser Stelle setzen wir wieder auf Kommunikation und Austausch. So können wir von den Erfahrungen des MfN lernen, gemeinsam neue Strategien und Konzepte entwickeln und Netzwerke für digitale Projekte zusammenführen.
Die Gründung eines MediaLabs als co-kreativer Ort zur kooperativen Projektgestaltung mit externen Partner*innen kann jedoch mit hohen Kosten verbunden sein. Allerdings lassen sich Netzwerke auch bereits über kleinere Veranstaltungsformate, Kooperationen mit Universitäten und Start-ups auch ohne einen realen Ort aufbauen. Ausgehend davon können dann weitere Vernetzungsveranstaltungen mit anderen Kultureinrichtungen geplant werden, um gemeinsame Bedarfe und Ziele zu erfragen und diskutieren. Gleichzeitig kann sich das Museum so bereits als Hub etablieren, in dem Ideen besprochen und deren Umsetzung geplant werden. In einem nächsten Schritt kann dann ein Ort im Museum mit technischer Ausstattung wie VR-Brillen, leistungsstarken PCs, AR-fähigen Endgeräten etc. ausgestattet und Arbeitsflächen geschaffen werden, welche dauerhaft für Workshops und die Umsetzung von Projekten bereitgestellt werden können. Auch die Integration von Co-Working-Spaces für externe Partner*innen, Makerspaces und öffentlich zugängliche Experimentierflächen sind denkbar. So entsteht ein (digitales) Gläsernes Labor zum Mitgestalten und Erleben, welches externe Partner*innen, Besucher*innen, Bürger*innen zur Teilhabe einlädt und neue Ideen ins Museum trägt. Hier kann sozusagen “am Puls der Zeit” gearbeitet werden. Welche Technologien spielen in Zukunft eine Rolle? Wie wird sich digitales Storytelling, wie die Wissenschaftskommunikation im digitalen Raum entwickeln? So zeigen zum Beispiel aktuelle Prognosen, dass der Absatz für VR- und AR-Brillen bis 2024 deutlich steigen und deutlich stärker in den Alltag Eingang finden wird. 12 Aber natürlich werden auch Themen wie Künstliche Intelligenz und Robotik weiter im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen.
Es zeigt sich also, dass der Blick von außen, sei er durch Studierende oder Künstler*innen, Start-ups und andere Partner*innen, neue Perspektiven auf die eigenen Sammlungsinhalte, Zusammenhänge zwischen Ausstellungsobjekten ebenso wie auf digitale Vermittlungsformate, wie Multiuser-Szenarien, Gamification und Mixed Media Ansätze eröffnet. Beide Seiten müssen hierfür jedoch offen sein. Es erfordert viel Zeit, den Schritt zu wagen und die passenden Kontaktpersonen an der jeweiligen Institution oder im jeweiligen Berufsfeld zu suchen und ebenso viel Zeit, herauszufinden, wie die optimale Kooperation aussehen könnte. An Universitäten zum Beispiel bieten sich nicht nur Abschlussarbeiten an, auch Seminararbeiten, Praktika und gemeinsame Veranstaltungen über ein ganzes Semester können den passenden Rahmen für eine Zusammenarbeit liefern. Nicht zuletzt erfordern multidisziplinäre Kollaborationen aber ebenso die Offenheit beider Seiten, die jeweils andere (Fach) Sprache zu lernen und zu verstehen und ergebnisoffen an gemeinsame Projekte heranzugehen, den Zugang zu Objekten und Sammlungsinformationen zu ermöglichen und möglicherweise auch Daten zur Verfügung zu stellen. Wenn man diesen Schritt wagt, dann öffnen sich aber auch die Türen für neue Ideen und mehr Beteiligung. Aus einem „volksnahen“ Museum für Alle kann sogar ein Museum mit Allen werden. 13
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Füßl, W. (2003) Gründung und Aufbau 1903-1925. In: Füßl, W., Trischler, H. (eds.), Geschichte des Deutschen Museums – Akteure, Artefakte, Ausstellungen, München, S. 68 f. ↩︎
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Siehe Deutsches Museum (2020) “Das Gläserne Forscherlabor”, https://www.deutsches-museum.de/ausstellungen/naturwissenschaft/neue-technologien/labore/glaesernes-labor/?sword_list[]=glasernes&sword_list[]=labor&no_cache=1 (29.09.2020). ↩︎
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Siehe Hix, P., Schüßler, P., Trixler ,F. (2012) Kommunikation des Forschungsalltags: das Gläserne Labor im Deutschen Museum. In: Dernbach B., Kleinert C., Münder H. (eds). Handbuch Wissenschaftskommunikation. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18927-7_17.; Weitze ,MD., Heckl, W. (2016) Gläserne Wissenschaft. In: Weitze, MD., Heckl, W. (eds.): Wissenschaftskommunikation – Schlüsselideen, Akteure, Fallbeispiele. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-47843-1_16. ↩︎
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GLAM steht für Galleries, Libraries, Archives and Museums und subsumiert somit die Gedächtnisinstitutionen. Siehe auch https://openglam.org/. ↩︎
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Siehe Hohmann, G., Geipel, A., Göggerle, M. (2019) Bausteine einer digitalen Gesamtstrategie. In: Museumskunde 84, S. 26-33. ↩︎
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Siehe https://digital.deutsches-museum.de/blog/das-digitale-objekt-iii/. ↩︎
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Siehe z.B. Richter, R. and Wessolek, D. (2018) Prototyping the future, reviving the past: Observations of two museums and their shared workshop approaches in the making. Journal al Peer Production, Issue #12: Makerspaces and Institutions. Available at: http://peerproduction.net/issues/issue-12-makerspaces-and-institutions/practitioner-reflections/prototyping-the-future-reviving-the-past/. ↩︎
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Siehe Hoffmann, J. (2019) Mediasphere For Nature – Das Applikationslabor des Museums für Naturkunde Berlin. In: Weißpflug, M. und Paß, S. (eds.): Open for Nature – Offene Wissenschaft am Museum für Naturkunde Berlin, DOI: 10.7479/tnnh-h2vc.; Hoffmann, J. (2020) Das Applikationslabor für nicht technische Innovation. In: Hasbach, T. & u-institut Backes & Hustedt GbR (eds.) Willkommen in der Sonderforschungszone. 8 Visionen für eine bessere Lehre & Forschung in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Available at: https://bit.ly/3bRPsg7; Rössig, W. and Jahn, L.D. (2019), The Open Planning Laboratory at the Museum für Naturkunde – Experiences From First Attempts in a Participative Exhibition Planning and Working in Public. Curator, 62: 527-544. DOI:10.1111/cura.12343. ↩︎
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Siehe Statista (2020) “Virtual Reality - Prognose zum Absatz von Virtual-Reality- und Augmented-Reality-Brillen weltweit von 2019 bis 2024” https://de.statista.com/statistik/daten/studie/539653/umfrage/prognose-zum-absatz-von-virtual-reality-hardware/ (29.09.2020) ↩︎
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Siehe Füßl, W. (2003) Gründung und Aufbau 1903-1925. In: Füßl, W., Trischler H. (eds.), Geschichte des Deutschen Museums – Akteure, Artefakte, Ausstellungen, München, S.68 f. ↩︎