Phil Zumbruch und Jannis Zell haben an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Karlsruhe studiert, wo sie auch ihr Designstudio Lob gegründet haben. Ihre Grafikentwürfe entstehen aus einer dialogischen Praxis, die die konzeptionelle Idee eines Projekts stärkt und eigenständig herausstellt. Ein Porträt der Design-Website It’s Nice That beschreibt ihren Arbeitsprozess wie folgt: „Wir schmettern Ideen hin und her, wie bei einem Tennismatch.“ 1 Über den ständigen Dialog unter sich, aber auch mit ihren Kund:innen, gestalten sie einen konzeptionellen Designprozess. Für das Pilotprojekt Cultural Policy Lab in den Münchner Kammerspielen entwickelten Zumbruch und Zell das Design, das auch zur Grundlage der Website www.culturalpolicylab.com wurde.
Die Arbeiten des Studios wurden u.a. im Museum Folkwang, im MAK (Museum für Angewandte Kunst) und im ZHdK + Museum für Gestaltung Zürich gezeigt. Neben dem Cultural Policy Lab der Ludwig-Maximilians-Universität München zählen David Chipperfield (Berlin), Civil Architecture (Kuwait) und der Ernst-Schneider-Preis zu ihren Kund:innen.
Christian Steinau: Es hat großen Spaß gemacht, mit Euch zusammenzuarbeiten. Wir würden das Gespräch gerne dazu nutzen, diese Kooperation zwischen Wissenschaft und Grafikdesign zu dokumentieren. Bei der Entwicklung des Cultural Policy Labs von der Idee bis zu einem eigenständigen universitären Transfer- und Forschungsprojekt hat Design eine große Rolle gespielt. Eure Entwürfe haben uns geholfen, unsere Ideen zu konkretisieren und zu kommunizieren. Wie würdet Ihr Euren Zugang zum Design beschreiben?
Lob: Das ist eine interessante Frage, da jedes Design oder Projekt einen eigenen Zugang darstellt und hat. Einfach, indem es betrachtet oder genutzt wird. Oft bestimmt der Inhalt maßgeblich das Design und seine Darstellung – das Design wird zu einem eigenständigen Zugang zu einer Thematik.
Steinau: Wie würdet Ihr Euren Arbeitsprozess beschreiben?
Lob: Wir arbeiten gestalterisch konzeptionell. Das heißt, wir analysieren, recherchieren und stellen Fragen. Wir sind im ständigen Dialog zwischen uns beiden und im Gespräch mit Kund:innen. Gleichzeitig spielt Intuition eine wichtige Rolle. Oft kommen Lösungen und Ideen im Gestaltungsprozess oder durch den inhaltlichen Fokus, die isolierte Wahrnehmung, während man sich mit einem Projekt beschäftigt.
Steinau: Was ist gutes Design für Euch? Welche Rolle spielt der Begriff „Konzeption“ dabei?
Lob: Wir denken, dass die Konzeption der Grundbaustein für „gute“ Gestaltung ist. Wenn man die Begrifflichkeit „Geschmack“ beiseite lässt und Gestaltung inhaltsabhängig betrachtet, bemerkt man, dass vielleicht auf den ersten Blick „schlechte“ Gestaltung (oder Gestaltung, die keiner gegenwärtigen Formsprache folgt) total großartig sein kann.
Denken wir zum Beispiel an eigene ästhetische Welten, wie die von Spielautomaten. Man meint zuerst, dass sie grausam ist, mit den vielen bunten Buchstaben und Farben, den Skeuomorphismen und der alles überthronenden „Merkur“-Sonne. Diese Formsprache funktioniert aber eigentlich inhaltsbetrachtet gut und stellt für das, was sie vom Wesen her ist, eine gute Entsprechung dar. Sie verheißt Geld, Aufregung, Spannung, impliziert aber auch Sucht, Überreizung und Verlust.
Ob Design gut ist, hängt an vielen Punkten. Ist es wirtschaftlich? Nachhaltig? Verständlich? Funktioniert es? Macht es Spaß? Fordert es mich? Überrascht es mich? Ist es eigenständig?
Konzeption ist dabei wichtig. Aber auch das Gegenteilige kann zu wirklich spannender Gestaltung führen. Idiosynkratische, assoziative, gefühlsmäßige Entscheidungen. Irrationale, kompromisslose, mutige Entscheidungen. Gestaltung kann auch sehr langweilig sein, wenn sie nur einem rationalen, modernistischen Weg folgt. Es ist für uns unvermeidbar, uns selbst in die Gestaltung mit einzubringen. Unsere eigenen Haltungen, Interessen, Faszinationen.
Steinau: Ihr habt an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Karlsruhe studiert. Welche Rolle spielt Design dort und was, würdet Ihr sagen, hat Euch dort geprägt?
Lob: Die HfG selbst ist ein Ort, der es Studierenden erleichtert, andere Designdisziplinen kennenzulernen, aber auch künstlerische oder theoretische Arbeitsweisen zu erforschen. Das war bei Phil hauptsächlich Bewegtbild und bei Jannis Produktdesign oder Skulpturales Arbeiten. Unser Umfeld dort, unsere Freunde, mit denen wir auch in unterschiedlichen Konstellationen weiterhin zusammenarbeiten (z.B. FAN Collective), waren dabei immer ein großer Einfluss.2 Ansonsten hatten wir super Professor:innen: Sereina Rothenberger, Urs Lehni, Rebecca Stephany, David Bennewidth. The list goes on. Wir wurden ermutigt, einer selbständigen Praxis zu folgen und unsere eigene Nische zu finden.
Steinau: Ihr habt für das Internationale Doktorandenkolleg MIMESIS der LMU München das Konferenzdesign der Tagung Change Through Repetition entworfen. Welche Erfahrungen habt Ihr bei dem Prozess gemacht? Welche Rolle spielt Design in der wissenschaftlichen Praxis und Wissenschaftskommunikation Eurer Meinung nach?
Lob: Gerade in der wissenschaftlichen Praxis wird oft sehr fantasielos und zurückhaltend gestaltet. Aber gerade hier ist es wichtig, gestalterisch aus dem gesetzten Rahmen zu springen, um Leute zu erreichen, die sich auch außerhalb der akademischen micro groups befinden.
Steinau: Welche Rolle spielen Kulturpolitiken in Eurer Arbeit oder für Euer Feld? Und gibt es Auswirkungen der Covid-19 Pandemie für kreative Designpraxis?
Lob: Wir arbeiten letztendlich auch von und mit den Budgets kultureller Institutionen, die leider meistens kleiner ausfallen oder auf wackeligen Beinen stehen. Seit der Pandemie sind natürlich auch einige Jobs abgesprungen, die an Veranstaltungen, Ausstellungen, etc. geknüpft waren. Dafür kamen mehr Anfragen für Webdesign rein. Ansonsten hat es uns betroffen, wie die meisten anderen auch. Videocalls statt physischer Treffen etc. Wir selbst sehen uns nur online. Phil ist in Karlsruhe, Jannis in Maastricht.
Steinau: Im Februar 2020 habt Ihr das Design für das Pilotprojekt Cultural Policy Lab in Kooperation mit den Münchner Kammerspielen entwickelt. Wie seid Ihr bei dem Design vorgegangen?
Lob: Ein Lab impliziert ständigen Wandel, ständige Rekombination und Dynamik. Darin haben wir in einem Rubik’s Cube (auch als Zauberwürfel bekannt) eine Entsprechung gefunden. Dieses Zentralmotiv haben wir dann durchdekliniert: aufgeklappt, gedreht, flachgemacht. Gleichzeitig kam im Gespräch die Idee auf, die Farben der Gestaltung für die Olympiade 72 in München aufzugreifen. Diese Entscheidung stand mit der Grundhaltung des Cultural Policy Labs in Zusammenhang, die kulturelle Entwicklung der Stadt grundlegend zu reflektieren und darüber nachzudenken, was ein spezifisch demokratischer Begriff von Kulturpolitik sein könnte. Otl Aicher hat sich bei der Gestaltung der Olympiade 1972 bewusst von der Formsprache des Nationalsozialismus abgesetzt: Es wurden auf mit dem NS assoziierte Farben wie Rot, Schwarz und Weiß verzichtet, stattdessen standen Regenbogenfarben im Vordergrund. Die Gestaltung war transparent wie die Architektur des Olympiastadions und beruhte auf einer klaren Haltung. Davon waren wir sofort angetan. Wir waren selbst einmal in Rotis, wo sich die ehemaligen Atelierhäuser von Otl Aicher befinden und waren begeistert von der Arbeit des Büros.3
Steinau: Ihr seid auch für die konzeptionelle Entwicklung der ersten Webpräsenz des Cultural Policy Labs verantwortlich, die im Februar 2021 online geht. Auf welchen Prämissen beruht das Konzept und wie würdet Ihr die Seite beschreiben?
Lob: Der Anreiz und Ansatz zu dem Projekt ist die Überführung einer vielseitigen Publikation in den digitalen Raum. Über das horizontale Erschließen der Website sind die drei Bausteine (Information, Publikation und Newsfeed) des Labs stets zugänglich. Für die Gestaltung der Veranstaltung in den Kammerspielen hatten wir diese Dreiteilung ausgehend von den Wörtern „Cultural“, „Policy“ und „Lab“ bereits entworfen, die wir für die Website jetzt wieder aufgegriffen haben. Durch die Reduktion auf diese drei Grundbedürfnisse der Website versuchen wir, über den strukturellen Ansatz zu einer eigenständigen Form für das Cultural Policy Lab zu kommen, die sich einprägt und aus dem Projekt heraus entsteht. Dabei spielt auch die Farbgebung eine Rolle, die wir selbstverständlich beibehalten haben. Jedem Bereich der der Website haben wir eine eigenständige Farbe zugeordnet, wobei die Ansicht der Texte innerhalb des Publikationstool auf Farbe verzichten, um die Lesbarkeit zu erhöhen.
Im Dialog hat sich herausgestellt, dass das Veröffentlichen und Rezipieren von Texten eine wesentliche wissenschaftliche Praxis ist. Wir wollten ein Tool gestalten, das eine kontinuierliche Publikation ermöglicht. Gleichzeitig soll es auch eine angenehme Erfahrung sein, etwas für das Cultural Policy Lab zu schreiben. Die wissenschaftlichen Standards werden natürlich hochgehalten, gleichzeitig haben wir aber auch versucht, etwas Eigenständiges zu entwerfen.
Steinau: Welche weiteren Schritte müsste das Cultural Policy Lab Eurer Meinung nach unternehmen, um einen interdisziplinären und gestaltungsorientierten Lab-Charakter bestmöglich einzulösen?
Lob: Wir denken, da weitermachen, wo wir gerade sind. Weitere Texte online stellen, sie lesbar und zugänglich machen, das Lab als Sprachrohr! Dinge wachsen immer weiter, indem sie ausgiebig genutzt werden. Neben der publizistischen Arbeit ist aber auch das Zusammenbringen von Menschen wichtig, sobald das wieder geht: durch Workshops, Symposien, Talkreihen oder einen Podcast ;) ? Da geht es um das Einbeziehen von Menschen aus diversen Disziplinen und Positionen.
Steinau: Was inspiriert Euch und auf die Realisation welcher Projekte freut Ihr Euch?
Lob: Wir bekommen unsere Eindrücke aus allen möglichen Feldern: Aus Kunst, Design, der Wissenschaft, Film, Archäologie, von Amateuren oder einfach auf der Straße. Spielautomaten oder Architektur von Tieren, wo auch immer wir gerade hinschauen. Neben der Studiopraxis arbeiten wir momentan auch an eigenen Projekten. Außerdem wird bald die Website für ein Surf Camp auf den Azoren fertig, das wir dann hoffentlich bald besuchen können :)
Steinau: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Eure weiteren Projekte!
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https://www.itsnicethat.com/articles/lob-studio-graphic-design-110220, zuletzt aufgerufen am 04. Februar 2020. ↩︎
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http://fan.group/, zuletzt aufgerufen am 4. Februar 2021. ↩︎
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Otto "Otl" Aicher (1922-1991) hat als Gestaltungsbeauftragter der Olympischen Spiele von München 1972 die prägende Gestaltung verantwortet. In den 1970er Jahren baute er Atelierhäuser in Rotis, einem Ortsteil von Leutkirch im Allgäu. ↩︎