Das erste Kapitel der Schriftenreihe Staging the Lab zeichnet deren Genese nach: „Vom Forschungsseminar Institutionelle Ästhetik zum Cultural Policy Lab“ wie Christina Kockerd ihren einführenden Beitrag überschrieben hat. Christina Kockerd hat als Studentin am Forschungsseminar teilgenommen, die Veranstaltung in den Kammerspielen mitorganisiert und ist nach ihrem Abschluss zum Herausgeber:innenteam gestoßen. Ihr Text zeigt die Prämissen der Forschungsperspektive der Institutionellen Ästhetik auf. Unter Verweis auf den Wirtschaftsnobelpreisträger Douglass North und den Soziologen Paul DiMaggio skizziert Kockerd den neo-institutionalistischen Institutions-Begriff, an dem sich die Institutionelle Ästhetik orientiert. Gleichzeitig spannt Kockerd in ihrem Beitrag einen Bogen, der die Entstehung des interdisziplinären Cultural Policy Labs in den Münchner Kammerspielen nachzeichnet.
Martin Valdés-Stauber, Dramaturg an den Münchner Kammerspielen und Janina Sieber, Bühnenbildnerin ebenda, erläutern im Gespräch mit Christian Steinau detailliert die konzeptionellen Vorarbeiten, die das Cultural Policy Lab als experimentelles Werkstattformat am 15. Februar 2020 auf die Bühne der Kammer 3 gebracht haben. Das gemeinsame Gespräch wurde ein halbes Jahr nach der Veranstaltung im September 2020 geführt und unterstreicht die gewinnbringende Kooperation zwischen Universität und Stadttheater „als absolutes Zukunftsthema“, wie Valdés-Stauber schreibt: „Das Stadttheater ist ein Tor zur Stadtöffentlichkeit, dessen sich die Universität in ihrer transnationalen und transkulturellen Verortung viel öfter bedienen sollte, um Wissen der Öffentlichkeit vor Ort zugänglich zu machen.“ Janina Sieber beschreibt ihre Überlegungen, während der Veranstaltung die Hierarchie von Bühne und Publikum zu durchbrechen: „Gerade im Hinblick auf die ergebnisoffenen Diskussionen wollten wir einen hierarchiefreien Raum schaffen. Deswegen haben wir das ganze Lab auf der Bühne platziert. Die Bänke im Publikum blieben leer. Ein großer Spiegel an der Bühnenrückwand spiegelte die leere Zuschauertribüne wider, alle wurden zu gleichwertigen Akteur*innen. Man saß auf Sitzkissen oder Stühlen auf die vier Stationen verteilt, wie in einer lebendigen Mindmap.“
Iris Bramsemann vom Sprecherrat der Kulturpolitischen Gesellschaft Landesgruppe Bayern spürt in ihrem Grußwort den Implikationen der naturwissenschaftlichen Laborarbeit nach. Ihr Grußwort führt in medias res in die Bildwelt des Labors: „Beim Gedanken an ein Labor entsteht vor meinem inneren Auge eine Versuchsanordnung: Glasapparaturen, Schläuche, Erlenmeyerkolben, Reagenzgläser und Bunsenbrenner, aufgebaut mit den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen. Die Zutaten, die sogenannten Reagenzien, werden abgemessen, zugegeben und unter Feuer zur Reaktion gebracht. Viel Energie also, nicht ganz ungefährlich und oft mit unbekanntem Ergebnis.“ Diese Bildwelt überträgt sie auf den (nicht erst durch die Pandemie) stark in Bewegung geratenen Kulturbetrieb. Wie bei einem Experiment sei aber auch hier das Ergebnis noch unbekannt und der Versuch erfordere „Forschergeist und kreative Gedanken, damit am Ende ein buntes Gemisch aus neuen Impulsen, mutigen Ideen und einem beherzten Optimismus für die Zukunft von Kunst und Kultur entsteht.“
Die „Laborleiterinnen“ Lena Huber, Hanna van der Heijden, Christina Kockerd und Luise Barsch stellen in ihren Beiträgen ihre Versuchsanordnungen, benannt nach den Forschungslaboren berühmter Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Literatur- und Filmgeschichte, vor. Die Idee der Laborstationen war es, aus Studierendenperspektive Impulse aus dem Forschungsseminar Institutionelle Ästhetik zu setzen, Gespräche anzuregen und zu moderieren.
Gleichzeitig sollten aktuelle Forschungsperspektiven in die Stadtgesellschaft getragen und gemeinsam Herausforderungen der Kulturpolitik und des Kulturbereichs diskutiert werden. In den parallel stattfindenden Laborstationen wurden, ausgehend von Statistiken, Bildern und einschlägigen Texten, Thesen experimentiert, diskutiert und gemeinsam nachgedacht.
Lena Huber moderierte die Laborstation Fausts Studierzimmer als Diskursraum zum Thema Stadt als Kunst und Soziokultur. In ihrem Beitrag blickt Huber auf die Diskussion ihrer Station zurück. „Unter dem Thema Soziokultur versteht man,“ so fasst sie den prominenten Begriff zusammen, „die Verknüpfung von gesellschaftlichem Leben und Kunst und Kultur; dabei werden Themen inklusiv, dezentral und gesamtgesellschaftlich verhandelt.“
In Hanna van der Heijdens Bericht der Laborstation Le Laboratoire 12 Rue Cuvier (der Wohnadresse Marie Curies in Paris) steht ein Besucher:innentypus im Vordergrund, „dem in vielerlei Hinsicht noch nicht ausreichend Beachtung geschenkt wurde“. Bei diesem handele es sich um all jene, die NICHT ins Theater gehen. In den letzten Jahren hat die Besucher:innen- und Publikumsforschung zunehmend an Bedeutung gewonnen.
In einem weiteren Beitrag blickt Christina Kockerd auf die theoretischen Grundlagen ihrer Laborstation Latour’s Kitchentable zum Thema Diversität und Inklusion. ‚Auf Augenhöhe‘, ‚Kultur für alle‘, ‚Gemeinsam‘, ‚Begegnung‘ sind da zum Beispiel auf einer Mindmap der Teilnehmer:innen zu lesen. Als Fazit konstatiert Kockerd, „dass die Künste sowohl ästhetisch als auch organisatorisch an die Konzepte Inklusion und Diversität herangehen müssen, um wirklich inklusiv und diversitätsorientiert zu arbeiten.“
In ihrem Beitrag zur vierten Laborstation, Frank N. Furter’s Lab, thematisiert Luise Barsch grundlegende soziologische Beobachtungen zum veränderten Stellenwert der Arbeit im Kulturbereich. „Was bedeutet es“, fragt Barsch zu Beginn ihrer Dokumentation der Laborstation, „wenn die eigene ‚Passion‘ auch dem Lebensunterhalt dient bzw. der Job nicht nur Selbstversorgung, sondern auch Selbstbestimmung ist?“ Mit Verweis auf die Arbeiten der Soziolog:innen Luc Boltanski und Ève Chiapello sowie der Theaterwissenschaftler:innen Alexander Haunschild und Alexandra Haunschild wirft Barsch ein Schlaglicht auf Begriff und Theorie künstlerischer, kreativer Arbeit.
Während die Resümées von Huber, van der Heijden, Kockerd und Barsch aus der Veranstalter:innen-Perspektive geschrieben wurden, blickt die Kulturbloggerin Gaby Dos Santos aus der Publikumsperspektive auf die Veranstaltung in den Münchner Kammerspielen zurück. Ihr Text trägt den Titel „Kulturelles Troubleshooting zwischen Schöpfertum und Forschung“ und wir freuen uns, ihren Blogbeitrag hier noch einmal veröffentlichen zu dürfen.
Einen Gesamtüberblick über die Veranstaltung liefert der Artikel „Cultural Policy Lab – ein konzeptionelles Labor zur Erforschung angewandter Kulturpolitik“. Dieser ist bereits im Sommer 2020 in den Kulturpolitischen Mitteilungen erschienen und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Kulturpolitischen Gesellschaft noch einmal aufgenommen, um den Entstehungsprozess des Konzepts Cultural Policy Lab zu dokumentieren. Der Text wurde gemeinsam von Christian Steinau und den beteiligten Studierenden geschrieben und schließt mit einem hoffnungsvollen Ausblick: „Zum Ausklang der Veranstaltung legt DJane Bi Män in Frank N. Furters Genderlabor auf. Man trinkt Bier oder Sekt und tanzt zum Ausklang des Cultural Policy Labs unter einem Bruno Latour-Lampenschirm. Ja. Es ist gut, dass die Welt kein solider Kontinent aus Fakten ist und in der Kulturpolitik etwas in Bewegung kommt.“