Das Cultural Policy Lab fand als Abschlussveranstaltung des Forschungsseminars Institutionelle Ästhetik am 15. Februar 2020 in der Kammer 3 (Werkraum) der Münchner Kammerspiele statt. Die Veranstaltung wurde vom Dramaturgen Martin Valdés-Stauber und der Bühnenbildnerin Janina Sieber betreut. Wir haben uns im September 2020 getroffen und ein halbes Jahr später auf die Veranstaltung des Cultural Policy Labs zurückgeblickt.
Die Auseinandersetzung mit Kulturpolitik gehört ans Theater
Christian Steinau: Im Februar 2020 haben wir das Cultural Policy Lab als Abschlussveranstaltung des Forschungsseminars Institutionelle Ästhetik am Institut für Theaterwissenschaft der LMU organisiert. Im Seminar haben wir uns auch mit kulturpolitischen Fragen beschäftigt, die die Theater betreffen. Unter dem Intendanten Matthias Lilienthal standen die Kammerspiele wiederholt im Kreuzfeuer der Öffentlichkeit, weswegen wir uns sehr gefreut haben, für unsere Veranstaltung auf die Theatermaschine zurückgreifen zu können.
Martin Valdés-Stauber: Es gibt keinen besseren Ort für ein Cultural Policy Lab. Die Auseinandersetzung über Kulturpolitik gehört an ein Theater, da auch wir unablässig die eigene Arbeit und Wirksamkeit reflektieren und in Frage stellen müssen. Gleichzeitig hält das Theater Mittel bereit, die einen akademischen oder politischen Austausch noch interessanter und zugänglicher machen können. Das Cultural Policy Lab gibt Hinweise darauf, welche räumlichen Konstellationen, welche Verhältnisse von Sprecher*innen und Zuhörer*innen sich entwickeln lassen und wie wir uns als Gesellschaft begegnen können.
Steinau: Bei der Konzeption der Veranstaltung haben wir uns an Veranstaltungsformaten im Berliner Haus der Kulturen der Welt orientiert. Wir wollten einerseits Universität anders denken und über die Kooperation mit den Kammerspielen hatten wir auch die Gelegenheit tatsächlich etwas anders zu machen. Auf unserer Veranstaltung Cultural Policy Lab haben wir deswegen auch im Rahmen unserer Möglichkeiten versucht, die Komplexität des kulturpolitischen Status Quo und die Vielschichtigkeit der Akteursebene auf die Bühne zu bringen.
Janina Sieber: Bei der Gestaltung des Cultural Policy Lab war es mir wichtig, einen Raum zu schaffen, der die Möglichkeit eröffnet, dass etwas verhandelt wird. Das Besondere: Die Veranstaltung war ein Schnittstellenprojekt zwischen Theater und Universität. Bewusst wurde dazu auch die Stadtgesellschaft eingeladen, um sich gemeinsam über die kulturelle Entwicklung Münchens, Wünsche und Ideen auszutauschen und darüber nachzudenken. (Eine Schnittstelle zw. Wissenschaft und Praxis).
Steinau: Im Vorfeld der Veranstaltung hatten wir drei Ziele. Wir wollten den Studierenden insbesondere in Hinblick auf die Zeit nach dem Studium die größtmögliche Bühne für Ihre Themen geben und sie mit Expert*innen zusammenbringen. Zweitens sollte der kulturpolitische Diskurs vitalisiert und über neue Impulse, aber auch Themen vorangebracht werden. Drittens wollten wir diese Impulse ausgehend von unseren Forschungsfragen im Seminar Institutionelle Ästhetik realisieren. Das heißt, dass die Studierenden zu Beginn der Veranstaltung Inputs zu theoretischen und methodischen Problemstellungen vorbereitetet haben und diese aus der wissenschaftlichen Beobachtung der Theaterlandschaft gewonnen Erkenntnisse den Rahmen für die weitere Diskussion setzten. Dabei haben wir versucht, unser Wissen aus dem Seminar nicht absolut zu setzen, sondern ergebnisoffen zur Diskussion zu stellen.
Valdés-Stauber: Ich habe den Tag über eine warme Stimmung wahrgenommen, wenn man das so sagen kann. Die Veranstaltung war sehr niedrigschwellig konzipiert; es war leicht zu verstehen, warum und wozu man eingeladen wurde. Die Übereinkunft war klar: Alle Perspektiven zählen und keine ist gewichtiger als eine andere.
Die Begrüßung war relativ kurz, um ja nicht in die Gemütlichkeit der Bühnensituation zu verfallen. Ich habe einen regen, produktiven Austausch zwischen allen Beteiligten beobachten können. Das konnte in den Pausen oder nach Ende der Podiumsdiskussion mit der Musik von DJane BiMän fortgesetzt werden. Diese Zwischenräume und Momente der Re- und Neuorganisation des Bühnenraums gaben Gelegenheit für all das, was es in den folgenden Monaten der Pandemie nicht mehr geben sollte.
Im Werkraum wird permanent am Verhältnis von Publikum und Bühne gearbeitet
Steinau: Janina, du hast den Bühnenraum für das Cultural Policy Lab gestaltet. Was ist dein Zugang zum Theater und zum Bühnenbild?
Sieber: Ich komme eigentlich aus der Architektur und habe mich erst bei meinem Master für Theater entschieden. Seitdem merke ich, wie sich mein Zugang zu Architektur und Theater immer mehr vermischt und sich mein Verständnis von Raum verändert. In letzter Zeit habe ich außerdem viel mit Kostümen gearbeitet, was diesen Effekt nochmal verstärkt. Die Ebenen unterstützen sich und ergeben ein Ganzes. Meine Auffassung von Theater ist Teamarbeit, ein Team mit unterschiedlichsten Kompetenzen baut gemeinsam einen Kosmos. Wenn das gut funktioniert und man sich zu ergänzen weiß, macht das wahnsinnigen Spaß und ist sehr bereichernd.
Valdés-Stauber: Janinas Blick als Architektin ist eine extreme Bereicherung für das Theater: Zuerst geht es um den gebauten Raum und daraus werden Schlüsse für das Bühnenbild gezogen. Für mich als Stadtsoziologen kann sich ein theatraler Raum überall in der Stadt etablieren. Entscheidend ist dabei die Verstärkung von Vorhandenem. Die Kategorie des Sichtbarmachens ist wesentlich. Und gerade hier liegt eine der Stärken der Münchner Kammerspiele, da dieses Theater den Auftrag als Stadttheater insofern ernst nimmt, im Theater die ganze Stadt darzustellen, aber auch in der ganzen Stadt Theater zu spielen und dabei die ganze Stadt zum Theater zu machen.
Steinau: Das Cultural Policy Lab fand im Februar in der Kammer 3 statt. Was ist das für ein Ort?
Sieber: Der Werkraum, die Kammer 3, hat einen gewissen Charme. Die Schauspieler*innen auf der Bühne brauchen keine Ton-Verstärkung. Als Zuschauer*in ist man sehr nah dran. Das Publikum ist in das Setting stark eingebunden. Architektonisch ist der Werkraum sehr roh und hat einen industriellen Charme. Es ist kein klassischer Theaterraum. Der Raum ist durch rote Ziegelwände geprägt, man sieht die Technik. Am Ende der Bühne sind Tore, durch die man in die Räume dahinter schauen kann. Es ist fast so, als würde man das Theater verlassen und in die Stadt raus gehen. Der industrielle Charme drückt deutlich aus, dass hier gearbeitet wird.
Valdés-Stauber: Woran wird gearbeitet? Für mich ganz entscheidend: Am Verhältnis von Publikum und Bühne. Jede Aufführung erkundet aufs Neue diese Konstellation – oder auch Konfrontation.
Das Theater ist ein Labor für die Erprobung urbaner Lebensformen
Steinau: Ich möchte mit euch über die Räume der Universität sprechen. An der Technical University Delft in den Niederlanden gibt es die, vom Architekten Winy Maas geleitete, The Why Factory. Diese versteht sich als globaler Think Tank und Forschungsinstitut und ist räumlich als solches auch eindeutig identifizierbar. Es gibt eine große Fabrikhalle mit Arbeitsplätzen. In der Mitte des Raumes erhebt sich eine orangene Treppe bis fast zur Decke. Man hat im Arbeitsprozess die Möglichkeit, den Raum aus einer ganz anderen Perspektive wahrzunehmen. Diese Mehrdimensionalität, das Ausprobieren und Suchen neuer Formen kultureller und wissenschaftlicher Produktion, steht für uns mit der Idee eines interdisziplinären Forschungslabs in Zusammenhang. Wir denken dabei an eine Plattform für Experimente, auch mit ungewissem Ausgang, an neue Bündnisse, die man einer Universität auf den ersten Blick nicht zutraut. Aber auch an die Neubegründung der Gemeinschaft von Studierenden und Forschenden über den gesellschaftlichen Impact der eigenen Forschung, also das Warum der eigenen Forschungsarbeit oder Studienmotivation. Deswegen auch das Beispiel der The Why Factory. Was kommt euch bei dem Labor Begriff in den Sinn?
Janina Sieber: Allgemein gesprochen, stelle ich mir ein Lab als einen Raum vor, in den man sich zurückzieht, um etwas ganz Neues zu entwickeln. Ein Raum, wo zu Beginn nur einige Bausteine da sind, die als Hilfsmittel fungieren, mit denen experimentiert und ein neuer Sinnzusammenhang geschaffen werden kann.
Valdés-Stauber: Ich muss bei Laboren immer zuerst an eine kindliche Bilderwelt denken. Da geht es um Instrumente, die man anfassen kann und mit denen gearbeitet wird. Schläuche, Apparaturen, Kolben, Reagenzgläser, Bunsenbrenner. Dabei geht es im Labor aber auch – und das gerade im Rückgriff auf theoretische Texte zum Beispiel der Science and Technologie Studies – um die Konstruktion von Wissen. Dies impliziert auch die Verfasstheit der Realität und die Methoden, auf die wir uns einigen, um diese zu konstruieren. Im Labor einigt man sich auf rational überprüfbare Verfahren. Zugleich ist man auf der Suche nach dem Unbekannten, nach dem Bruch des Erwarteten. Im Hinblick auf das kollaborative Arbeiten und die Arbeit an Wissen und Realität gleichen sich Labor und Theater. Es sagt viel aus über unsere Zeit, dass sich die Kunst heute für die Verfahrensweisen des Labors interessiert. Wie prominent oder auch einflussreich die Labor-Metapher für unsere Arbeit in den letzten Jahren war, sieht man auch daran, dass etwa der Soziologe Dirk Baecker das Theater als „Labor für die Erprobung urbaner Lebensformen“ bezeichnet hat.
Steinau: Wie passt das Cultural Policy Lab in diese Programmatik?
Valdés-Stauber: Diese Form Theater zu denken und zu machen, passt in die Intendanz von Matthias Lilienthal. Dabei gehört das Angebot eines immersiven Theaterraums in das Standardrepertoire seiner Theaterformen. Auch die fortlaufende Infragestellung der eigenen Grundbedingung gehört zu diesem Grundverständnis. Inwiefern sind Theater und Produktionshäuser Labore des urbanen Zusammenlebens? Es geht darum, wie Institutionen unwahrscheinliche Begegnungen wahrscheinlich machen können. Damit meine ich Interaktionen, aber auch Konfrontationen mit Unbekanntem. Es ist schwierig zu sagen, was die Stadt ausmacht, es existieren verschiedene Ansätze. Was eine Stadt ist, kann man zum Beispiel architektonisch, rechtlich oder statistisch-administrativ erklären. Mich überzeugt die sozialtheoretische Argumentation, die Stadt sei der Ort, an dem man fortlaufend Begegnungen und Vergegnungen moderieren muss. Es geht darum, sich zu entscheiden, ob man das Bekannte aufsucht oder sich dem Unbekannten aussetzt. Auf diese Art verstehe ich die Metapher des Theaters als Labor des urbanen Zusammenlebens. Es ist eine Reflexion darauf, wie wir gemeinsam in einer Stadt leben, wie wir Fremdheit zulassen und wie wir mit wohlwollender Indifferenz dem Unbekannten begegnen. Auch im Theater kann es nicht darum gehen, das Etablierte und bereits Erreichte zu wiederholen oder zu affirmieren, sondern wie man sich immer wieder in neue Konstellationen begeben und auf die Suche nach neuen theatralen Formen machen kann.
Das Bühnenkonzept des Cultural Policy Lab war eine skizzenhaft ausgestaltete räumliche Mindmap
Steinau: Der Begriff Cultural Policy unterscheidet sich ja bewusst vom im Deutschen inflationär verwendeten Begriff Kulturpolitik. Bei Kulturpolitik ist meiner Meinung nach weder der Kultur- noch der Politikbegriff klar definiert. In der Konsequenz wird er auch auf alles angewendet. Cultural Policy hingegen kann auf die in der Politikwissenschaft übliche Unterscheidung in Polity, Politics und Policy zurückgreifen und verweist somit auf ganz klare Handlungsweisen, Strategien und Programmatiken.
Sieber: Das ist ein interessanter Punkt; diese Begriffsverwendung zeigt, wie verallgemeinert in dieser Stadt Kultur betrieben wird. In München gibt es zum Beispiel viel zu wenig Orte, an denen man sich, ohne Konsumzwang aufhalten kann. Öffentliche Orte, die nicht privatisiert und somit allen zugänglich sind, an denen man Kultur verhandeln und in sozialen Austausch treten kann.
Valdés-Stauber: Die Bereitstellung Öffentlicher Güter und der Zugang zu diesen sind brennende Themen – gerade in einer Stadt wie München mit ungebrochenem Aufwertungsdruck. Durch die Covid-19 Pandemie ist dieser Druck auf öffentliche Orte noch einmal potenziert worden: Wo kann man sich aufhalten, ohne zu konsumieren? Wo kann man in einen sozialen Austausch treten? Auch deswegen interessiert mich die Erweiterung des Theaterbegriffes. Wie kann das Stadttheater selbst zum Labor werden? Dramaturgie bedeutet, Spielpläne und Allianzen zu entwickeln. Da geht es um konkrete Projekte, die aber in Verbindung stehen sollten zur Erweiterung und Öffnung des Theaterbegriffs.
Steinau: Janina, wie bist du bei der Gestaltung der Bühne des Cultural Policy Labs vorgegangen?
Sieber: Das Bühnenbild des Cultural Policy Lab ist eine skizzenhaft ausgestaltete räumliche Mindmap in der jede*r Teilnehmer*in zu einem Baustein wird. Das Konzept zitiert vier bekannte Laborsituationen: Fausts Studierzimmer, Le Laboratoire 12 Rue Cuvier, Frank N. Furter’s Lab und Latour’s Kitchentable. Jede Situation ist zunächst eine alltägliche, an die sich leicht anknüpfen lässt. So sitzt man zum Beispiel in Latours WG-Küche und diskutiert, was man gerne in der Kulturpolitik ändern möchte.
Zu jeder Station habe ich einen Comic gezeichnet, der die Protagonist*innen der Räume und deren Laborstrategien zeigt. Aus den Comics habe ich dann Tischdecken, Lampenschirme und Wandgemälde gebastelt und, ergänzt mit realen Requisiten wie Kerzen, Erlenmeyerkolben und Kaffeegeschirr, eingerichtet. Die Arrangements abstrahieren die alltäglichen Situationen und bilden, ohne zu viel vorzugeben eine gute Diskussionsgrundlage.
Steinau: Ein wesentlicher Bestandteil war auch, das Publikum beziehungsweise die Konferenzgäste in die Szenerie des Labs miteinzubeziehen.
Sieber: Es war uns wichtig, die im Theater immer dominante Hierarchie von Bühne und Publikum zu durchbrechen. Gerade im Hinblick auf die ergebnisoffenen Diskussionen wollten wir einen hierarchiefreien Raum schaffen. Deswegen haben wir das ganze Lab auf der Bühne platziert. Die Bänke im Publikum blieben leer. Ein großer Spiegel an der Bühnenrückwand spiegelte die leere Zuschauertribüne wider, alle wurden zu gleichwertigen Akteur*innen. Man saß auf Sitzkissen oder Stühlen auf die vier Stationen verteilt, wie in einer lebendigen Mindmap.
Valdés-Stauber: Dieser hierarchiefreie, immersive Raum ist sehr interessant im Kontext des Werkraums. Mit Rabih Mroués Stück Kill the Audience (Premiere am 12. Dezember 2018) gab es den Versuch, auf Grundlage der Inszenierung von Peter Stein und Wolfgang Schwiedrzik des von Peter Weiss‘ 1968 uraufgeführten Vietnam-Diskurses über das Verhältnis von Publikum und Bühne eingehender nachzudenken. Für mich als Dramaturgen stellt sich im Theater die Frage nach der Wahrheit anders als an der Universität. Befindet sie sich im Publikum, das berechtigterweise etwas einfordert, sei es inhaltlich, politisch oder ästhetisch? Oder findet sich die Wahrheit auf der Bühne? Oder gibt es vielleicht gar keinen Standpunkt, von dem aus eine umfassende Beschreibung der Realität vorgenommen werden kann? Das würde bedeuten, dass die Position der Wahrheit eine unauflösbare Leerstelle ist, ein blinder Fleck, den wir immer wieder umkreisen. Janina hat mit ihrem immersiven Bühnenbild zum Cultural Policy Lab genau das gemacht. Einen zusätzlichen Kunstgriff stellt dabei die Spiegelung des Raumes dar. In der Spiegelung ergibt sich der Eindruck einer alle Anwesenden auf der Bühne einfassenden Arena, die von zwei Tribünen, einer realen und einer gespiegelten, eingeschlossen ist. Das unterstreicht den Doppelcharakter des Labs als Labor, in dem gemeinsam an der Konstruktion von Überzeugungen gearbeitet wird, und die Kulturpolitik als Feld der Auseinandersetzungen und auch widerstreitender Interessen im Sinne einer Arena.
Das Cultural Policy Lab ist ein Marktplatz der Ideen
Steinau: Der Politikwissenschaftler Paul DiMaggio beschreibt Cultural Policy als Marktplatz der Ideen.1 Zentraler Bestandteil dieses Markts ist Konkurrenz, sodass sich Cultural Policy auch durch widerstreitende Konzepte und ein Ringen um die besten Ideen und ihre gesellschaftliche Durchsetzung auszeichnet. Auch vor diesem Hintergrund finde ich den Begriff der Arena in Hinblick auf die kommunalpolitische Town Hall-Diskussion passend. Wie hast du die Verwendung deines Bühnenkonzepts während der Veranstaltung wahrgenommen?
Sieber: Bei der Planung der Bühne gab es noch weitere Punkte zu bedenken. Einerseits wollte ich Räume schaffen, die thematisch zu den vier Stationen passen. Anderseits mussten auch praktische Fragen bedacht werden, zum Beispiel, wo gibt es abends die Suppe zu essen? Wo legt die DJane nach der Veranstaltung auf? Letztendlich hat sich das sehr gut ineinander gefügt. Es war schön zu beobachten, wie sich der Raum im Laufe der Veranstaltung verändert hat und die Teilnehmer*innen immer näher zusammenrückten. Wir haben mit einer klassischen Theatersituation zur Begrüßung angefangen. Für die ersten Inputs der Studierenden an den Stationen kam man sich dann auf der Bühne näher. Durch die kleinen Runden in den einzelnen Stationen, das nahe Beisammensitzen am Boden und die Inputs der Expert*innen kamen schnell sehr interessante Diskussionen auf. Das hätte auch noch länger gehen können, gerade da man über den Nachmittag die Möglichkeit hatte, sich in vielen kommunikativen Situationen kennenzulernen. Diese kommunikative Grundstimmung wurde auch durch die parallelen Labor-Stationen verstärkt, sodass man in den Pausen wissen wollte, worüber die anderen Gruppen diskutiert hatten. Nach einer gemeinsamen Suppe in Latours Küche wurde die Runde zur Town Hall-Diskussion geöffnet, die vier Stationen wurden zu einem großen Labor. Als Ausklang der Veranstaltung legte DJane BiMän in Frank N. Furters Lab auf und die Gespräche wurden bei einem Bierchen fortgesetzt.
Steinau: Bei der kommunalpolitischen Diskussion im Vorfeld der Münchner Kommunalwahl am Abend wurde diese Übereinkunft etwas schärfer. Die Arena wurde mehr zum Marktplatz der Ideen, der von der Moderatorin Luise Barsch aus der Bühnenmitte heraus orchestriert wurde. Da gab es dann auch die Möglichkeit zur Kontrastierung verschiedener Positionen. Wir waren im Rückblick überrascht, wie wenig divers unsere Veranstaltung war, obwohl wir über dieses Thema im Vorfeld viel gesprochen hatten. Ich würde sagen, dass wir mit unserem Anspruch, kulturelle Vielfalt auf die Bühne zu bringen, gescheitert sind.
Valdés-Stauber: Natürlich kann, nein, muss man sogar kritisch nachfragen, ob wir unseren eigenen Anspruch eines hierarchiefreien Raumes eingelöst haben. An der Vielfalt der geladenen Personen wird deutlich, dass man versucht hat, aus der Uni heraus auf die Stadtgesellschaft zuzugehen. Das ist nicht selbstverständlich. Die Gäste kamen aus der Presse, aus Kultureinrichtungen, aus der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft, es gab Vertreter*innen der sogenannten Hoch- und der Stadtteilkultur. Wie können vermeintliche Positionen von Zentralität und Peripherie umgeworfen und neu gedacht werden? Das ist auch eine der zentralsten kulturpolitischen Fragen: Es kann repräsentative Zentren geben, gerade aber diese Zentren müssen komplementär gedacht werden zur Bereitstellung kultureller Infrastruktur in den Stadtteilen und auf dem Land.
Die Kooperation zwischen Universität und Theater ist ein Zukunftsthema
Steinau: Janina, angenommen wir hätten unendliche Möglichkeiten im Vorfeld gehabt: Was hättest Du Dir als Bühnenbildnerin für die Entwicklung des Cultural Policy Labs gewünscht?
Sieber: Ich fand die Veranstaltung eigentlich sehr gelungen. Bei einer Wiederholung wäre es spannend, die Zusammenarbeit der Universität mit dem Theater und den Expert*innen schon früher zu starten. Das hätte großes Potential, um gemeinsame Utopien für die Stadt zu entwickeln und umzusetzen. Natürlich könnte man die Wirkung des Labs auch durch noch mehr Mittel des Theaters verstärken. Es wäre zum Beispiel denkbar, für die Veranstaltung eine Kostümebene zu entwickeln, sodass man in Rollen schlüpfen kann. Das wäre eine Möglichkeit, den Mitmach- und Partizipationsaspekt zu verstärken, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und somit noch mehr die Hierarchien zu brechen.
Steinau: Wir waren von der Power der Veranstaltung sehr überrascht. Im Vergleich zu klassischen Konferenzformaten haben wir versucht, unsere Forschungsthesen eher als Fragen denn als abgeschlossene Ergebnisse zu formulieren. Außerdem waren wir neugierig, wie sich unsere Thesen im Kontakt mit Praktiker*innen aus vielen verschiedenen Bereichen verändern. Das hat Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir forschen oder unsere Fragen formulieren. Wir müssen uns aber auch bei euch beiden und den Münchner Kammerspielen bedanken! Die Kooperation mit dem Stadttheater hat uns ermöglicht, die Idee eines anwendungs- und transferorientierten Forschungslabs durchzuspielen und experimentell auf die Bühne zu bringen. Uns haben die Ergebnisse sehr überzeugt und es wäre spannend, in diese Richtung weiterzudenken.
Valdés-Stauber: Die Kooperation zwischen Universität und Theater sehe ich als absolutes Zukunftsthema. Beide Institutionen sind Errungenschaften demokratischer Gesellschaften. In ihnen wurde jahrhundertelang die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft vorbereitet. Zugleich stellen Universität und Theater Öffentliche Güter zur Verfügung. Es gibt in der deutschen Gesellschaft einen breiten Konsens, dass Wissenschaft und Kunst gefördert werden sollen. Wie Böckenförde sagen würde: Gerade sie stellen die Grundlage der freiheitlichen Demokratie bereit, die der Staat nicht selbst zu stiften vermag. Und obwohl die Strategien der Wissensgenierungen und die Formen des Wissens an der Universität und am Theater sehr unterschiedlich sind, ist es spannend, über Verbindungen, wie zum Beispiel beim Cultural Policy Lab nachzudenken. Da kann ich dir nur zustimmen. In der Wissenschaft geht es darum, den Prozess der Erkenntnisgewinnung nachvollziehbar zu machen. Das Theater kann gerade in der Durchkreuzung von Rationalität zu seiner wahren Stärke finden, ohne abschließende Definitionen vorstellen zu wollen. Gerade deswegen ist es spannend, diese Wissensformen zusammenzuführen. Das Stadttheater ist ein Tor zur Stadtöffentlichkeit, dessen sich die Universität in ihrer transnationalen und transkulturellen Verortung viel öfter bedienen sollte, um Wissen der Öffentlichkeit vor Ort zugänglich zu machen. Im Theater stehen wir vor der Herausforderung, unsere theatralen Mittel und Möglichkeiten immer wieder neu zu erforschen. Von Strategien der Aneignung oder Kopie über Konstellationen der Immersion gibt es vielfältige Möglichkeiten. Ich denke aber auch an das Dokumentartheater mit Expert*innen des Alltags, an Strategien des Pre- und Reenactments sowie der Gründung symbolischer Institutionen, wie es Milo Rau vorführt. Ich sehe eine Vielzahl ästhetischer Praktiken, die akademisches Wissen in einer ganz anderen Form zugänglich machen.
Steinau: Vielen Dank für das Gespräch.
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„Cultural policies, in brief, are those that regulate what has been called the marketplace of ideas. (I use the term ‘policy’ loosely to include unintended but systematic consequences of government actions as well as action towards identified ends.) Cultural policies influence the barriers to entry and the chances of survival and adoption of ideas, values, styles, and genres.” Das Zitat stammt aus Paul DiMaggio, „Cultural Policy Studies: What They Are and Why We Need Them”, in: Journal of Arts Management and Law, H. 13, Nr. 1, Frühjahr 1983, S. 241-248. ↩︎