Cultural Policy Lab

Das Cultural Policy Lab ist ein interdisziplinäres Reflexions-Format, das ausgehend von dem theaterwissenschaftlichen Master- Forschungsseminar „Institutionelle Ästhetik“ an der LMU München entwickelt wird. Das Cultural Policy Lab verfolgt das Ziel, innerhalb der traditionsreichen Universitätsstruktur einen dynamischen Think- and Do-Tank aufzubauen, in dem die physischen und ideellen Räume der Universität ausgehend von kulturpolitischen Fragen neu gedacht werden.

Wir leisten Pionierarbeit für den Forschungstransfer in den Kunst- und Geisteswissenschaften und gestalten neue Allianzen. In Kooperation mit Partnern aus Kulturverwaltung, Kulturpolitik, Kunst und Wissenschaft entwickeln wir nachhaltige Strategien für die Kultur- und Kreativwirtschaft.

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Projektleitung: Christian Steinau, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ludwig-Maximilians-Universität München

Kontakt: Ludwig-Maximilians-Universität München, c/o Nachwuchsforschungsgruppe Kreativität und Genie, Edmund-Rumpler-Str. 13b, Raum 176, 80939 München, Germany (c.steinau(at)lmu.de)

Mitarbeit: Johanna Vocht und Christina Kockerd

Design: Studio Lob (www.lob.tf)

Code: Lukas Marstaller (www.bnag.cc)

Copyright: Cultural Policy Lab, 2021

Impressum & Disclaimer

Anschrift: Cultural Policy Lab, c/o Nachwuchsforschungsgruppe Kreativität und Genie, Ludwig-Maximilians-Universität München, Edmund-Rumpler-Str. 13b, Raum 176, 80939 München

E-Mail: info(at)culturalpolicylab.com

Verantwortlich für den Inhalt: Ludwig-Maximilians-Universität München, Christian Steinau, Projektleiter des Cultural Policy Lab

Das Cultural Policy Lab ist ein Forschungs- und Transferprojekt, das im Wintersemester 2019/20 aus dem theaterwissenschaftlichen Master Forschungsseminar Institutionelle Ästhetik an der LMU München entwickelt wird. Es ist keine Einrichtung der LMU München, sondern ein vom Wissenschaftlichen Mitarbeiter Christian Steinau geleitetet Forschungs- und Transferprojekt.

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Inhaltsverzeichnis Index

FGT 1990, 2020

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Am 5. Mai dieses Jahres luden die Galerien Andrea Rosen und David Zwirner eintausend ausgewählte Gäste zur Teilnahme an der internationalen Ausstellung „Untitled“ (Fortune Cookie Corner) 1990 ein.1 Für das Projekt sollte die gleichnamige Installation aus dem Jahr 1990 „Untitled“ (Fortune Cookie Corner)2 des Künstlers Felix Gonzalez-Torres (1957–1996) an individuellen Orten gezeigt werden. „Untitled“ (Fortune Cookie Corner), 1990 ist das erste Werk der Candy Piles-Serie und die einzige Arbeit, die aus einem Haufen von Glückskeksen besteht.3 BesucherInnen der Ausstellung durften und sollten davon essen, Glückskekse mitnehmen oder verschenken, um damit die formale Erscheinung der Arbeit zu beeinflussen. Dieser partizipative und transformative Aspekt wird bereits in der spezifischen Formel des Ausstellungstitels impliziert; bestehend aus dem Werktitel und kombiniert mit seinem Entstehungsjahr. Durch die vom Künstler angelegte Modifizierbarkeit des Werkes können sich mit jeder Ausstellung neue Anknüpfungspunkte und Modalitäten ergeben, mit welchen die Historie der Arbeit angereichert wird, während sich sein Kontext verändert. In diesem Sinne ist der Werktitel in seiner vermeintlichen Nüchternheit nicht nur als konzeptuelles Geleit einzuschätzen, sondern scheint seine Kontextualisierung in zukünftigen Gegenwarten zu antizipieren.

Abseits von Materialitätsfragen, die durchaus Berechtigung fänden, sollen im Folgenden die Chancen und Probleme der Kuration von „Untitled“ (Fortune Cookie Corner), 1990 im Jahr 2020 diskutiert werden. Dabei nimmt die Fragestellung insbesondere Bezug auf die (Re-)Kontextualisierung und umfassende Medialisierung des Werkes im Zuge der Covid-19-Pandemie.

Mit der Partizipation und den daraus resultierenden Veränderungen von „Untitled“ (Fortune Cookie Corner), 1990 war das Publikum in der Vergangenheit Teil des Werkes-als-Prozess. Damit wurde den Rezipierenden eine wichtige Rolle zuteil. Durch den Ausbruch von Covid-19, welcher auch aktuell noch zu Ausgangsbeschränkungen und temporären Schließungen von Museen und Galerien führt, erfuhr die eingebaute Partizipationsaufforderung an „Untitled“ (Fortune Cookie Corner), 1990 jedoch eine Zäsur und eine Verschiebung. Die für die Ausstellung von Rosen eingeladenen Personen sollten als individuelle „AusstellerInnen“ fungieren und mit ihrer Teilnahme am Projekt die Arbeit von Gonzalez-Torres an einem selbst gewählten Ort installieren. Dafür wurde den circa vierhundert auserwählten „AusstellerInnen“ zunächst eine Anleitung mit Informationen zu Aufbau, Ablauf und Ausstellungskonzept zugesandt. Zusätzlich erhielten sie von der Kuratorin Andrea Rosen Richtlinien, innerhalb derer sie sich für Größe und Form der Arbeit entscheiden konnten.

Der von der Andrea Rosen Gallery veröffentlichten Pressemitteilung ist zu entnehmen, dass der Beginn der Ausstellung am 25. Mai 2020 mit der Veröffentlichung der neuen Webseite der Felix Gonzalez-Torres Foundation am 23. Mai 2020 zusammengelegt wurde. Die „AusstellerInnen“ wurden dazu angehalten, den „Ausstellungsverlauf“, inklusive Auf- und Abbau, fotografisch oder filmisch zu begleiten und auf Social-Media-Plattformen zu teilen.4 Um die offiziellen „AusstellerInnen“ und deren Ausstellungsorte online kenntlich zu machen, sollte bei der Veröffentlichung der Materialien ein einheitlicher Hashtag verwendet werden: #FGT🥠exhibition.5 Eine Auswahl der fast vierhundert „AusstellerInnen“ und deren jeweiliger Installation ist auf der Webseite der Andrea Rosen Gallery zu finden. Darunter befinden sich individuelle „Ausstellungen“ durch Michael Seiwert (in seiner Wohnung in Hamburg), Joseph Kosuth (auf dem Trafalgar Square in London), Nancy Spector (vor ihrem Haus bei einer kleinen Ausleihbibliothek in Maine), die TAR Collection (in der Eingangshalle ihrer Ausstellungsräume in Mexico City) und zahlreiche weitere.6

Als Kuratorin der Ausstellung und Mitglied des Vorstandes der Felix Gonzalez-Torres Foundation gilt Andrea Rosen als Expertin für Felix Gonzalez-Torres. Ihre führende Rolle innerhalb der Rezeption und Präsentation des Künstlers ist von bestimmten Interessen Rosens als Galeristin geprägt, die den Fokus zusätzlicher Untersuchungen bilden könnten.7 In einem Text von 1997 hält Rosen fest, dass Gonzales-Torres in Verbindung mit seiner künstlerischen Arbeit bestrebt gewesen sei, „one’s legacy beyond death“8 zu sichern. Erreichen würde Gonzalez-Torres das mittels der certificates of authenticity and ownership seiner Werke und den darin aufgeführten offenen Angaben und Richtlinien, denn diese erlauben dem Ausstellenden einen großen Raum an Entscheidungsfreiheit, was die formale Entscheidung und Platzierung der Arbeit betrifft.9 Diese seien ausschlaggebend für die intendierte Adaptionsfähigkeit der künstlerischen Arbeiten auf aktuelle Themen und Situationen. Zugleich sei es dadurch auch möglich, die Existenz der Werke zu garantieren, unabhängig davon, ob sie zu einem jeweiligen Zeitpunkt manifest sind oder nicht. Ihre Einmaligkeit würde die Arbeit dadurch erhalten, dass es immer nur eine/n BesitzerIn des Werkes gäbe beziehungsweise eine/n BesitzerIn des Zertifikats.10 Rosen beschreibt die Rolle, die die/der BesitzerIn einer konzeptuellen Arbeit und somit des certificate of authenticity and ownership einnimmt: „Being the keeper of the certificates means one becomes the interpreter of the rules and the holder of the right to assign the ability to interpret the rules to others.“11 Zwar sei die endgültige Form der Werke durch die Partizipierenden beeinflusst, künstlerisches Ziel sei aber, Gonzalez-Torres’ Œuvre als statische Erinnerung an ihn selbst zu verstehen. „But for a life to have continuous impact it must remain open to change in order to ensure continued growth.“12 Diese Aussage lässt auf einen für Rosens Agieren in der Felix Gonzalez-Torres Foundation entscheidenden Aspekt schließen: die Adaption seiner Arbeit auf neue beziehungsweise aktuelle Kontexte. So spricht Rosen in Interviews, Publikationen und auch in der Pressemitteilung zum diesjährigen Ausstellungsprojekt wiederkehrend von der Vielseitigkeit der Arbeiten von Gonzalez-Torres. Auf dieser Argumentation basiert auch das Ausstellungskonzept von „Untitled“ (Fortune Cookie Corner), 1990. Das Zertifikat mit seinen offenen Richtlinien würde, neben der inhaltlichen Ebene, die Arbeit zusätzlich für eine internationale Ausstellung qualifizieren. Die unkomplizierte praktische Umsetzung der Installation und die durch Gonzalez-Torres intendierte Vielfältigkeit in der Ausführung durch die Partizipierenden unterstützte zudem die Auswahl von „Untitled“ (Fortune Cookie Corner) für das Projekt in Zeiten von Corona. Auch inhaltlich solle es in Zeiten sozialer Isolation den Gedanken eines gemeinschaftlichen Agierens und selbstreflexiven Handelns fördern. In der Pressemitteilung heißt es: „The exhibition recognizes this unique moment in history and reflects the ever-relevant and flexible nature of the work of Felix Gonzalez-Torres.“13

Die Arbeiten des Künstlers fordern BesitzerInnen, KuratorInnen, „AusstellerInnen“ und BetrachterInnen gleichermaßen dazu auf, sich mit seinem Œuvre, der Werk-Wirkung und den daraus resultierenden Fragen auseinanderzusetzen. Die werk-immanent starke Adaptionsfähigkeit der Arbeit findet sich in der präferierten Formulierung Gonzalez-Torres’, dass es sich bei den Candy Piles, zu denen auch die Arbeit „Untitled“ (Fortune Cookie Corner) zählt, um Manifestationen handelt.14 Dabei sind Installationen meist weniger als moralische oder argumentative Hoheits-Gesten zu verstehen, als dass sie einen manifest gewordenen, fruchtbaren Moment herbeiführen, in welchem sich die Betrachtenden an der Schwelle einer Erkenntnis befinden. So überschneiden sich in Gonzalez-Torres’ Werken oftmals auch Gattungsgrenzen. Auffällig und paradox ist dabei die Nähe zur Aktions- beziehungsweise Performancekunst und zur Time Based Art – mit dem Unterschied, dass die Werke grundlegend mit der Absicht ihres Fortbestehens entwickelt wurden.

Die Nutzung der Zertifikate in seinem Werk und die damit verbundene Betonung der Idee und/oder des Konzeptes finden ihren Ursprung in den 1960er Jahren. Das Prinzip, dass Urkunden als Ersatz für die Signatur der/des Künstlerin/Künstlers zur Authentifizierung des Werkes fungieren, wurde bereits von Konzept- und Minimal Art-KünstlerInnen angewandt. Sie dienen als Informationsübermittler von den KünstlerInnen zu den KuratorInnen oder SammlerInnen.15 Die Zertifikate von Gonzalez-Torres konstatieren, dass die Werke ihren Status eines Unikats nicht verlieren würden, auch wenn sie an mehreren Orten zugleich manifestiert sind.16 Gleichzeitig erlaubt die von Rosen in Anspruch genommene Möglichkeit, die Arbeit „Untitled“ (Fortune Cookie Corner) für ihr Projekt organisiert an potenziell eintausend unterschiedlichen Orten auszustellen. Hinzu kommt, das die alleinige physische Manifestation der Arbeit nicht zur Vervollständigung der Arbeit ausreicht. Die Partizipation der AusstellerInnen, BesucherInnen und anderen am Werk und der damit verbundenen Entscheidungsprozesse, ob, wieviel und wann ein Glückskeks genommen oder verzehrt werden soll, ist ein essenzieller Werk-Bestandteil. So zeichnen sich die Installationen auch durch die Verbreitung der Süßigkeiten durch und mit Menschen aus. Da jede/r so viele Süßigkeiten oder Glückskekse nehmen darf, wie er oder sie möchte, wird in die formale Erscheinung des Piles unvorhersehbar eingegriffen und gleichzeitig wird das Werk – wie durch den Künstler intendiert – vollendet. Die Teilnahme am Werk ist nicht allein eine Frage der Rezeption, sondern auch des ästhetischen Erlebens und der moralischen Entscheidungen. Laut Rosen sah Felix Gonzalez-Torres die mobilisierten Glückskekse als prozessuale Objekte innerhalb eines größeren Arbeitskomplexes.17 „Change becomes the vehicle but change also becomes the content of the work.“18 Hier schließt die Ausstellung der Arbeit „Untitled“ (Fortune Cookie Corner) im Jahr 2020 an. Die Veränderung findet sich in der vierhundertfachen Installation der Arbeit, ihrer formalen Erscheinung und der Verbreitung durch die sozialen Medien, aber auch im neuen Kontext der Corona-Pandemie wieder. Der inhaltliche Appell an ein Gemeinsam-Sein bleibt jedoch in seinen Grundzügen bei beiden Manifestationen aus den Jahren 1990 und 2020 erhalten.

Nichtsdestotrotz wird in der, an die potentiellen „AusstellerInnen“ verschickten Einladungen hervorgehoben, dass ein „[...] ongoing aspect of the documentation of Gonzalez-Torres’s work has been to accumulate exhibitors’ firsthand experiences with the work“.19 Damit wird der Schwerpunkt eindeutig auf die Erfahrung des/r „Aussteller(s)In” mit dem Werk „Untitled“ (Fortune Cookie Corner) gelegt und betont. Ein breites Publikum zu erreichen, sei vor allem durch die verschiedenen Ausstellungsorte gesichert. Dies mag zwar in Corona-Zeiten mit resultierenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der großen Anzahl an eingeladenen TeilnehmerInnen zutreffend sein, vernachlässigt aber auch einen ausschlaggebenden Aspekt in Gonzalez-Torres’ Candy Pile-Arbeit: die Rolle des Publikums als Teil der Vollendung des Kunstwerks. Hyun Jean Lee und Jeong Han Kim widmen sich in ihrem Aufsatz der aktiven Zuschauerschaft in Gonzalez-Torres’ Werk und kommen zu folgender Schlussfolgerung: „Gonzalez-Torres’s work provides no specific direction to guide the audience’s reaction. Rather, he encourages the audience’s active participation, since without their participation the sweet spills cannot be meaningfully implemented as a conceptual work which partially aims to convey the changes made throughout the course of the exhibition.“20

Teilnehmende AusstellerInnen wie Joseph Kosuth und Nancy Spector zeigen durch die Platzierung ihrer Manifestationen im öffentlichen Raum ein Bewusstsein für diesen Aspekt von Gonzalez-Torres’ Arbeit „Untitled“ (Fortune Cookie Corner). Die Möglichkeit der Partizipation von BesucherInnen am Werk ist hier weiterhin gegeben. Wenn das Werk jedoch in Privaträumen installiert wurde, ist genau diese allgemeine Teilnahmemöglichkeit nicht mehr existent. Folglich kam es nach der Eröffnung der Ausstellung zu kritischen Reaktionen der Presse. Ein Beispiel ist hierfür Carolina Miranda, eine Journalistin der Los Angeles Times, die ebenfalls eine der eintausend Einladungen erhielt und sich entschied, das Geld, das sie selbst für die Organisation der „Untitled“ (Fortune Cookie Corner) verwendet hätte, zu spenden. In einem Artikel begründet sie diese Entscheidung, dass der Gedanke, eingeladen zu werden, „to recreate these pieces in the middle of this pandemic (and in the same month I, like countless other U.S. workers, found myself on a partial furlough) strikes me as tone deaf at best and foolhardy at worst“.21 Im Zusammenhang mit der extremen Social-Media-Aktivität, den Skandalen um nicht ausreichende Gesundheitsmaßnahmen bei Lieferunternehmen und den politischen Spannungen in den USA sei dies der falsche Zeitpunkt für diese Ausstellung. Der soziale Aspekt der Arbeit rücke indes in den Hintergrund, wobei genau dieser ausschlaggebend für die Werk-Wirkung sei. Thematisch reichten nämlich die inhaltlichen Aspekte von Gonzalez-Torres’ künstlerischem Schaffen von Gemeinschaft über Gesellschaft und Vergänglichkeit bis hin zu personenbezogenen Fragen über moralische Entscheidungen, Leben und Liebe. Laut Rosen vertraute Gonzalez-Torres in die Fähigkeit des Publikums zu erkennen, was von Bedeutung ist und sich in seinem Werk wiederfindet. Dieses Urteil des Betrachters manifestiere für ihn das Werk als solches.22 „I need the viewer, I need the public’s interaction. Without a public these works are nothing, nothing. I need the public to complete the work. I ask the public to help me, to take responsibility, to become part of my work, to join in. I tend to think of myself as a theater director who is trying to convey some ideas by reinterpreting the notion of the division of roles: author, public, and director.“23

In Zeiten von Isolation und globaler Gesundheitskrise soll durch die Ausstellung und Gonzalez-Torres’ Anspruch ein aktives Gefühl von Gemeinschaft vermittelt werden. Wie im Kontext der Aids Epidemie der 1980er Jahre richtet sich sein gesellschaftlich-künstlerischer Anspruch zwar an ein heterogenes Publikum, aber an dieses als eine Gemeinschaft. Die Krankheit Aids führte in den 1980er Jahren dazu, dass die zuvor als Privatangelegenheit angesehene Homosexualität zu einem öffentlichen Thema wurde.24 Auch dies setzte starke Impulse für die Freiheitsbewegung von 1968 und der bis dahin erkämpften ersten Schritte für Gleichberechtigung. Gonzalez-Torres ließ nie Zweifel daran, dass seine Kunst die eines schwulen Mannes sei.25 In Zeiten der Angst, Isolation und gesellschaftlichen Unmuts betonte er mit seinem Werk, dass das Publikum nicht auf Grund seiner Sexualität gespalten, sondern als Gemeinschaft anzusprechen und zu handhaben sei.26 Simon Watney hält zu Gonazlez-Torres fest: „Er ist Humanist in seiner gewöhnlichen, unauffälligen Alltagsbeziehung zur Epidemie, die ihn selbst, seine Freunde und vollkommen Fremde angeht.“27 Dieser Aufruf zu Bewusstwerdung und Performierung von Gemeinschaft und Gemeinsamkeit in einer Zeit von Pandemie und globaler Isolation scheint sich nun in der diesjährigen Ausstellung „Untitled“ (Fortune Cookie Corner), 1990 zu wiederholen. Die Installation „Untitled“ (Fortune Cookie Corner) von 1990 wird für das Jahr 2020 aktualisiert; gleichzeitig befragt und betont die Ausstellung die Aktualität der Arbeit.

Im Kontext der Corona-Pandemie ist es umso interessanter, dass trotz der Schließung von Ausstellungen und ihren Institutionen diese Ausstellung physisch ausgeführt wurde und werden konnte. Auch Rosen hebt diesen Aspekt deutlich hervor, indem sie in der von ihr versandten Einladung von einer „physical exhibition“28 spricht. Der partizipative Aspekt der BesucherInnen wird zwar durch die Corona-bedingten Ausgangs- und Reisebeschränkungen auf den nächsten Umkreis des Ausstellungsortes beschränkt, erlaubt aber trotzdem, dass Menschen sich mit der Arbeit und den Fragen, die sie aufwirft, auseinandersetzen. Ein viel größeres Publikum erreicht Rosen aber durch die extensive Dokumentation der an unterschiedlichen Orten manifestierten Arbeit und deren digitaler Präsentation auf der Galeriewebseite und Social-Media-Plattformen. Dies führt dazu, dass der Arbeit „Untitled“ (Fortune Cookie Corner) eine nächste, digital-medial orientierte Text-Kontext-Beziehung hinzugefügt wird. Insofern könnte hier auch von einer Neu- oder Umprogrammierung gesprochen werden. Die Digitalisierung spielt nun eine zusätzliche Rolle in der Wahrnehmung, Rezeption, Distribution und Archivierung.

Gonzalez-Torres’ Werke sind werkimmanent für Adaptionen prädestiniert. Damit bei einer Aktualisierung aber die jeweilige Arbeit der ursprünglichen und in das Werk eingebauten Intention des Künstlers weiterhin entspricht, müssen bestimmte Parameter eingehalten und insbesondere die Partizipationsmöglichkeiten gegeben sein. Bei fundamentalen Veränderungen des Originals wird riskiert, von den initialen Konditionen des Werkes in seiner Direktheit, Unabgeschlossenheit und Nahbarkeit abzuweichen und seinen zunächst erweiterten Kontext zu schmälern. Gonzalez-Torres’ Ansatz, öffentlich und zugänglich zu wirken, charakterisiert sein Œuvre. Die erfolgreiche Übermittlung seiner Arbeit in digitale Zusammenhänge erfordert eine sinnvolle Nutzbarmachung der digitalen Medien im Sinne des Werkes. Hier muss grundsätzlich in jedem Einzelfall und immer wieder neu geprüft werden, ob die Transformation einer künstlerischen Arbeit in ein nächstes Medium, also eine Mediatisierung, oder die Entwicklung neuer Kommunikations- und Vermittlungswege inhaltliche, kontextuelle oder formale Aspekte der Kunst stärken beziehungsweise schwächen. Denn: Veränderte Medialität bedeutet veränderte Materialität bedeutet veränderte Referenzen und folglich veränderte Kontexte.


  1. Die Einladung, ein biografischer Kurztext zu dem Künstler Felix Gonzales-Torres und ein Werk-bezogener Fragenkatalog wurden in Verbindung mit der Pressemeldung der Andrea Rosen Gallery und Felix Gonzalez-Torres Foundation zur Ausstellung veröffentlicht: https://www.andrearosengallery.com/press-release [Abruf: 20.08.2020]. ↩︎

  2. Der Umfang der ursprünglichen Installation bestand aus zehntausend Glückskeksen und einem Ausmaß von etwa 36 x 100 x 60 cm. Für die Appropriation wurde hingegen durch Andrea Rosen eine Mengenangabe von zweihundertvierzig bis eintausend Glückskeksen vorgegeben. Zusätzlich sollte jeder Stapel am 14. Juni – nach der Hälfte der Ausstellungszeit – durch die AustellerInnen zu seiner anfänglichen Größe aufgefüllt werden. Vgl. Gareth Harris: Felix Gonzalez-Torres’s fortune cookie piece to pop up in 1,000 locations worldwide. Writers, curators, artists and friends of Felix’s will be asked to take part in participatory work, in: The Art Newspaper Online, 07.05.2020. https://www.theartnewspaper.com/news/felix-gonzalez-torres-s-fortune-cookie-piece-to-pop-up-in-1-000-locations-worldwide [Abruf: 27.08.2020]. Circa drei Viertel der Werke von Felix Gonzalez-Torres sind neben dem Haupttitel „Untitled“ mit einem zusätzlich parenthetischen Zusatztitel versehen. Diese sind laut Andrea Rosen als Untertitel im Sinne persönlicher Kommentare des Künstlers zu verstehen. Vgl. Andrea Rosen: „Untitled“ (The Neverending Portrait), in: Dietmar Elger (Hg.): Felix Gonzalez-Torres (1), St. Gallen 1997, S. 24–61, hier S. 37–38. ↩︎

  3. Die Reihe der Candy Piles entstand zwischen 1990 und 1993. Für die Arbeiten lässt Gonzalez-Torres Bonbons individuell mit speziellem Papier verpacken, die dann am Ausstellungsort zu einem Haufen aufgeschüttet oder wie ein Teppich auf dem Boden platziert werden. Weitere Arbeiten der Candy Piles sind zum Beispiel die „Untitled“ (A Corner of Baci) von 1990 mit Baci Pralinen oder die Arbeit „Untitled“ (Ross) aus dem Jahr 1991. ↩︎

  4. Vgl. Anm. 1. ↩︎

  5. Zusätzlich sollte das Dokumentationsmaterial an die Andrea Rosen Gallery geschickt werden, so dass diese die dann gesammelten Daten nach Ende der Ausstellung an die Felix Gonzalez-Torres Foundation weiterleiten könne. Jedes Foto sollte mit dem Aufnahmedatum (für die Chronologie), dem Bildnachweis, dem Ausstellungsort inklusive Stadt und Land versehen werden. Der Hashtag sollte es der Foundation, der Andrea Rosen Gallery und allen Interessierten auch nach Ende der Ausstellung erlauben, einen Überblick von veröffentlichten Fotos und Video zu erhalten. Außerdem sollte bei Veröffentlichungen die offizielle Instagram-Seite der Foundation getagged werden. Siehe auch: https://www.instagram.com/explore/tags/fgt%F0%9F%A5%A0exhibition/ [Abruf 18.08.2020]. ↩︎

  6. Vgl. https://www.andrearosengallery.com/fcc-selected-documentation [Abruf: 20.09.2020]. ↩︎

  7. Andrea Rosen hatte Werke von Felix Gonzalez-Torres bereits 1990 in ihrer Galerie ausgestellt und ist zudem Testamentsvollstreckerin des Nachlasses und Präsidentin des 2008 gegründeten Förderungsstipendiums der Felix Gonzalez-Torres-Stiftung. Zusätzlich ist sie seit 2017 Vorsitzende der Felix Gonzalez-Torres Foundation und Co-repräsentiert gemeinsam mit David Zwirner den Nachlass des Künstlers. Vgl. Alyssa Buffenstein: Andrea Rosen Will Close Gallery, Co-Represent Felix Gonzalez-Torres Estate With David Zwirner. The Chelsea gallery will close after 27 years, in: artnet.com, 22.02.2017: https://news.artnet.com/market/andrea-rosen-gallery-close-felix-gonzalez-torres-david-zwirner-868394 [Abruf: 27.08.2020]. ↩︎

  8. Rosen 1997 (wie Anm. 2), S. 48. ↩︎

  9. Die Zertifikate zu den einzelnen Werken legen nur grundlegende Parameter für die formale Erscheinung fest und bestätigen gleichzeitig jede potentielle Manifestation in Kombination mit der entsprechenden Urkunde als ein Kunstwerk des Künstlers. Zu den auf dem Zertifikat angegebenen Informationen zählen genaue Angaben zum jeweiligen Original der Arbeit sowie das optimale (aber nicht absolute) Gewicht der Süßigkeiten und die Farbe der (Candy-)Verpackungen, so dass die Installationen entsprechend installiert werden können. Zusätzlich kann es vorkommen, dass spezifische Hinweise zu speziellen Herstellern von Süßigkeiten vermerkt sind. Vgl. Simon Watney: Im Fegefeuer. Das Werk des Felix Gonzalez-Torres, in: Julie Ault (Hg.): Felix Gonzalez-Torres, Göttingen 2006, S. 95. ↩︎

  10. Vgl. Rosen 1997 (wie Anm. 2). ↩︎

  11. Ebd., S. 49. ↩︎

  12. Watney 2006 (wie Anm. 9). ↩︎

  13. Wie Anm. 1. ↩︎

  14. Sandra Umathum: Given the Felix Gonzalez-Torres’s Case. The art of placing a different idea of participation at our disposal, in: Performance Research 16 (3), Falmouth 2011, S. 94–98, hier S. 95. ↩︎

  15. Vgl. ebd. ↩︎

  16. Hier ist zu ergänzen, dass die Zertifikate von Felix Gonzalez-Torres immer die Namen der BesitzerInnen anführen. Andrea Rosen beschreibt den Inhalt der Zertifikate als ein Gleichgewicht aus vorgeschriebenen Parametern und potentieller Freiheit der Kurators. Vgl. Rosen 1997 (wie Anm. 2), S. 29f. ↩︎

  17. Vgl. ebd., S. 25. ↩︎

  18. Ebd., S. 47. ↩︎

  19. Rosen 1997 (wie Anm. 2). ↩︎

  20. Hyun Jean Lee und Jeong Han Kim: After Felix Gonzalez-Torres. The New Active Audience in the Social Media Era, in: Third Text, 2016, 30 (5–6), S. 477. ↩︎

  21. Carolina Miranda: How a project to honor artist Felix Gonzalez-Torres devolved into an Instagram stunt, in: Los Angeles Times, 05.06.2020: https://www.latimes.com/entertainment-arts/story/2020-06-05/coronavirus-artist-felix-gonzalez-torres-fortune-cookie-project-instagram-stunt [Abruf: 24.09.2020]. ↩︎

  22. Vgl. ebd. ↩︎

  23. Felix Gonzalez-Torres, Tim Rollins u. a.: Felix Gonzalez-Torres, Los Angeles 1993, S. 10–11. ↩︎

  24. Wäspe bezieht sich hier vor allem auf Vito Russo und dessen Publikation: The Celluloid Closet, dt. Die Schwule Traumfabrik – Homosexualität im Film, Berlin 1990. Vgl. Roland Wäspe: Privat und Öffentlichkeit, in: Dietmar Elger (Hg.): Felix Gonzalez-Torres (1), St. Gallen 1997, S. 12-23, hier S. 14. ↩︎

  25. Vom U.S. Supreme Court wurden Einschränkungen beschlossen, die diese Ungleichheit deutlich machen. Als Beispiel kann der Beschluss von 1986 genannt werden, der bestimmte, dass Männer und Frauen in homosexuellen Beziehungen nicht das Recht auf eine Privatsphäre haben, da der Staat die Art und Weise der Ausübung von Zuneigung ihrer Beziehung kontrollieren darf und gegebenenfalls bestrafen muss. Vgl. ebd., S. 14, 18. ↩︎

  26. Vgl. ebd. S. 41. ↩︎

  27. Watney 2006 (wie Anm. 9), S. 54. ↩︎

  28. Vgl. Anm. 1. ↩︎

Camilla Langnickel, Judith Malsch

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